Elsbeth Scacchi erzählt während ihres Aufenthaltes im Juli/August 2014 aus den Erlebnissen im Campus von INTACT SCHWEIZ in Vellimali

Solarstrom

Seit die Regierung von Tamil Nadu den Preis für Gas in Flaschenzum Kochen verdoppelt hat, suchen wir für die Küche in Vellimalai nach günstigerenLösungen. In dieser Küche wird jeden Morgen für ca. 60 Personen Frühstück zubereitet, das heisst ca. 180 gedämpfte Reiskuchen (Idli) und Chutney. Zum Mittagessen wird für ca. 200 Kinder, Lehrer und weitere Angestellte eine Mahlzeit zubereitet, welche Reis, Gemüse und Früchte beinhaltet. Zusätzlich wird regelmässig ein gekochtes Ei und manchmal sogar etwas Geflügel serviert. Am Abend essen die Hostelkinder und das Personal eine Mahlzeit mit Reis und Chutney.

Es ist leider grundsätzlich schon schwierig, an diese Gasflachen zu kommen. Die Regierung kontrolliert den Handel in Tamil Nadu. Um eine Gasflasche kaufen zu können, muss zunächst ein Antragsformular ausgefüllt werden.

Um das Gas jederzeit zur Verfügung zu haben, hat unsere Küche zwei solcher Flaschen, welche sie bei Bedarf auswechseln kann. Wenn eine Gasflasche leer ist, ist es Aufgabe der Hostelleiterin, den Antrag für das Ausfüllen zu stellen. Nun ist es aber leider so, dass diese Aufgabe nicht immer ernst genommen wird. Solange in der Reserveflasche noch Gas ist, wird die Bestellung oft vergessen oder aufgeschoben. He nu, so ist es halt! Dann kauert die Köchin regelmässig schonum 5 Uhr, wenn der Tag die Nacht noch nicht abgelöst hat, mit knurrigem Gesichtsausdruck im Campus-Garten und stochert im offenen Feuer, um das Frühstück für die Mädchen vor Schulbeginn herzustellen.

Ist halt so, meint sie.

Wir stellen uns deshalb die Frage, wie viel Holz brauchen wir, um diese Anzahl an Mahlzeiten zu kochen? Wie stark belasten wir mit den Holzfeuern die Umwelt? Wie effizient ist es für die Köchin, am offenen Feuer diese Menge an Mahlzeiten zu kochen? Wie sollten wir den Menschen ein Beispiel zu mehr Umweltbewusstsein geben, wenn wir selbst den Schritt zurück zum offenen Feuer gutheissen?

Indien ist ein „sonnengequältes“ Land. Hier wünscht man sich nichts lieber, als dass die Sonne hinter den Wolken verschwindet, was viel zu wenig passiert. Die Menschen schwitzen 24 Stunden am Tag. Lediglich während drei Monaten im Jahr ist das Klima etwas kühler und erträglicher, sie aber wünschen sich das ganze Jahr diese Kühle. Diereicheren Inder suchen während den heissen Monaten über das Wochenende Erholung in den Bergen, in Hotels wie z.B. „Wolke“, „Nebel-paradies“ oder mit ähnlich treffenden Namen.

Um diese für die Menschen oftmals so quälend heissen Sonnenstrahlen zu nutzen, möchten wir versuchen,mit der heutigen Technologie Energie für Licht, Ventilator und Wasseraufbereitung zugewinnen.

Dafür benötigen wir zwei verschiedene Systeme. Einerseits ein Röhrensystem, in welchem Wasser erhitzt wird, das dann in einen isolierten Tank fliesst. Von dort aus kann das heisse Wasser zum Kochen genutzt werden.

Das andere System funktioniert über die bereits bekannten Solarpanels, mit welchen wir Elektrizität gewinnen wollen.

Während meines Aufenthaltes suchen wir verschiedene Firmen auf, um die dort möglichen Techniken kennen zu lernen.

Unsere Bilder zeigen die Aufbereitung von Warmwasser durch Solarenergie auf dem Dach eines der besten Spitals in Trichy im Bundesstaat Tamil Nadu (amtlich heisst diese wunderbare Tempelstadt Tiruchirappalli. Trichy ist mit fast einer Million Einwohnern im Zentrum die viertgrösste Stadt Indiens und liegt ca. 5 Stunden Fahrzeit von Vellimalai entfernt.

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Eines der Ziele meines Aufenthaltes in Indien im Juli/August 2014 ist es deshalb, eine seriöse Firma zu finden, um bereitsden entsprechen Antrag für das INTACT SCHWEIZ Team bereit zu machen.

Doch leider muss ich einmal mehr von einer typisch indischen Geschichte berichtenund dies in der modernen Zeit derSolartechnologie. Die Regierung hatte den anerkannten Firmen von Solaranlagen 30 % Zuschuss auf die Solarpanels zugesprochen. Jetzt, wo die ersten Aufträge unterstützt werden müssten, zieht die Regierung das Versprechen zurück und versucht Zeit und Entschuldigungen zu finden. Es sieht sehr danach aus, dass Tamil Nadu nicht daran interessiert ist, Solarenergie durch Firmen und Organisationen installieren zu lassen, um damit die Menschen weiterhin in die Abhängigkeit des Stroms von Tamil Nadu zu binden,welcher jedoch leider nur mit vielen Stunden täglichem Stromausfall zur Verfügung steht. Verrückt – so empfinde ICH das.

Trotz allen „Wenn‘s und Aber’s“, ich freue mich, wenn wir auf den Kalrayan Hills Wege finden, um die Sonne auf eine positive Weise zu nutzen.

 

Windlichter/Candleholders

Es ist heiss. Alles ist nass an meinem Körper. Ich sitze auf einem Plastikstuhl und kontrolliere ein Meer von steinernen Windlichter. Wunderschön ist dieser Anblick. Jedes der Windlichter ein kleines Kunstwerk. Einige haben aber einen zu kleinen Kerzenhalter, andere einen gebrochenen Teller. Bei einigen kann man sehen, dass der Steinhauer noch neu in seinem Job ist, wieder andere sind unsorgfältig gearbeitet. Die in der rechten Reihe sind gut, diejenigen links sind schlecht. Der Verkäufer schaut mir übel gelaunt zu. Wenn Du aussortierst, dann musst Du einen anderen Preis zahlen, mault er.

Ich weiss, eine stundenlange Diskussion wartet auf mich. Wir werden Kaffee trinken und diskutieren. Zuerst ganz lang über Gott und die Welt; im zweiten Teil des Gesprächs über die Preise. Ich habe gehofft, mit diesem Verkäufer einen langfristigen Partner gefunden zu haben. Jetzt spüre ich aber, dass er einen immer höheren Gewinn wittert. Leider. Es hat keinen Sinn, ihm zu erklären, warum das Team von INTACT SCHWEIZ diese Windlichter verkauft und dass der Gewinn direkt in unsere Projekte für Indien fliesst. Meine Hoffnung auf eine langjährige Partnerschaft sinkt. Das ist schade und auch energieaufreibend, aber nichts Neues für mich.

In zwei Wochen bin ich wieder in derselben Werkstatt und kontrolliere weitere Windlichter. Diese habe ich bei meinem Händler zusätzlich bestellt. Wieder werde ich aussortieren. Wieder werde ich diskutieren. Dann soll gepackt werden. Vier halbe, schweissnasse Arbeitstage muss ich für das Bereitstellen der Windlichter und das Diskutieren in Kauf nehmen.

 

Trotzdem freue ich mich auf den Verkauf der kleinen Kunstwerke und stelle mir immer wieder vor, wie schön das Kerzenlicht durch die kunstvoll von Hand ausgestanzten Löcher im Stein Motive an Wände in der Schweiz malen. Niemand wird sich dann vorstellen können, wie ich in Mammallapurum in dieser staubigen Hitze sitze und Stück für Stück der Windlichter in die Hand nehme und abwäge, ob sie links oder rechts zu stehen kommen. Wenn dann INTACT SCHWEIZ mit dem Verkauf beginnt, werden wir bereits dicke Pullover tragen und froh sein um warme Stiefel. Unglaublich!!!

 

Zahnproblem bei einem behinderten Kind

Ein Kind hat Zahnweh und weint und weint. Offensichtlich hat es Schmerzen. Die Angelegenheit kommt mir zu Ohren, weil die Eltern, welche weit weg in den Bergen wohnen, das Kind abholen und nach Hause nehmen. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Nachdem die Eltern schon eine Weile weg sind, frage ich bei der verantwortlichen Angestellten nach. Nachfolgend unsere kurze Diskussion:

–          Weshalb wurde das Kind nicht zu einem Zahnarzt gebracht? Die Zahnbehandlung wird doch durch INTACT finanziert.

–          Ja klar, aber die Eltern sollen mit dem Kind selber zu einem Zahnarzt gehen.

–          In den Bergen ist kein Zahnarzt. Warum habt IHR das Kind nicht zum Zahnarzt in die Stadt gebracht?

–          Oh nein, Madam. Das ist eben so: Es handelt sich hier um einen oberen Zahn. Wäre es ein unterer Zahn, dann wären wir zum    Zahnarzt gegangen.

–          Was? Wieso?

–          Ja sehen sie Madam, wenn ein Zahnarzt einen Zahn aus dem oberen Kiefer behandelt, dann fällt dieser sehr leicht raus. Ein Zahn im unteren Kiefer würde aber stehen bleiben. Der kann nicht rausfallen. Wir wollten das Risiko nicht auf uns nehmen!

Für einen Moment bin ich sprachlos. Manchmal bedeutet Verstehen eben noch lange nicht richtig verstehen.

 

 

Elsbeth Scacchi, im Juli/August 2014