Den Ärmsten eine faire Chance bieten

Elsbeth Scacchi (Balsthal) und Cornelia Misteli (Oensingen) stehen an der Spitze von «Intact Schweiz»

Direkt vor Ort, in Südindien, den Ärmsten der Armen helfen, vor allem den
schlechter gestellten Mädchen. Dies das Credo der Organisation «Intact
Schweiz». An der Spitze sind zwei Frauen aus Balsthal und Oensingen.
VON WOLFGANG NIKLAUS

Gleich für einige Monate, wenn alles klappt, ist Elsbeth Scacchi am Dienstag
in Richtung Indien abgereist. Sie ist Ehrenpräsidentin und Mitbegründerin von
«Intact Schweiz», einer Hilfsorganisation mit Sitz in Balsthal, die sich für die arme
Bergbevölkerung auf den Kalrayan-Hills in Südindien einsetzt. Unentgeltlich,
versteht sich. Es gilt für sie, die Arbeiten am Bau eines «Multifunktionshauses» zu
überwachen, das in einer ersten Phase als Schulhaus dienen wird, später aber auch
ganz allgemein Anlaufstelle für die Menschen sein wird, die auf der Hochebene
leben. Geplant ist die Arbeit an diversen Mädchen- und Frauen-Bildungsprojekten
vor Ort. Permanent ausgebildet werden einheimische «Fieldworker», quasi
der verlängerte Arm der Organisation.

Dass Scacchi überhaupt erst monatelang weg sein kann, verdankt sie vor allem
zwei Leuten: Ihrem Mann Sepp, der selber auch schon in Indien war und sie in
ihren karitativen Bemühungen voll unterstützt. «Er hat gesehen, dass man dort
unten direkt helfen kann und akzeptiert, dass dieses Projekt mein drittes Kind
ist», sagt sie. Und sie verdankt es auch ihrer Nachfolgerin als Präsidentin des Vereins
«Intact Schweiz», der Oensingerin Cornelia Misteli. Diese ist seit drei Jahren
dabei und hatte als Deutschlehrerin für fremdsprachige Kinder durchaus eine
Affinität zur Thematik. «Ich las einen Artikel im Anzeiger, meldete mich bei
Elsbeth Scacchi – und es passte», erinnert sie sich. Wie es überhaupt «passen»
muss, wenn Aussenstehende in das Gefüge von «Intact Schweiz» kommen wollen,
das ziemlich fest in der Hand eines knappen Dutzends initiativer Solothurner
und vor allem Solothurnerinnen ist.

Die beiden Frauen, das wird rasch klar, haben nicht nur einen guten Draht zueinander,
sie ergänzen sich auch vorzüglich. «Ich bin eher die, die von daheim
aus die Fäden zieht. Elsbeth hat eine gute, direkte Art mit den Menschen vor
Ort», sagt Cornelia Misteli. Das ist wohl wahr, wie ihr Vis-à-vis bestätigt: «Ich habe
ein Schweizer Gesicht und ein indisches Gesicht», sagt Elsbeth Scacchi.
Wer meine, als freundliche Entwicklungs- und Sozialhelferin erreiche man in
Indien etwas, liege komplett falsch. «Ich muss dort enorm strikte auftreten, sehr
bestimmt sagen, was ich will. Nur dann wird man akzeptiert.»
Mädchen als Menschen 2. Klasse Akzeptiert, das sind Elsbeth Scacchi,
Cornelia Misteli und die anderen guten Menschen von «Intact Schweiz» sehr
wohl. Der Name «Intact» steht für «Integrated Action Trust» und existiert in Indien
selber seit 1992 als karitative Organisation.

Vielleicht wars kein Zufall, dass ausgerechnet Elsbeth Scacchi vor Jahren
den Hilferuf via Internet-Chat erreichte, in den sie wegen ihrer Tätigkeit als Informatiklehrerin
an der Kaufmännischen Gewerbeschule in Balsthal eingeloggt gewesen
war. Der Mann, der sein Informatikproblem ins weltweite Netz stellte,
war ein indischer Jurist – der Gründer von «Intact». So hat alles angefangen damals.
Seither ist Elsbeth Scacchi «x-mal» in Indien gewesen, mindestens einmal
jährlich, ganz einfach um zu prüfen, ob die Gelder wunschgemäss eingesetzt werden.
«Ich spiele dort unten nicht die nette Fee und verteile Gelder», stellt sie klar.
Zwar fliesst jeder Franken aus der Schweiz direkt in die Kalrayan-Hills –
aber ebenso sicher auch direkt in die Projekte selber. Die Menschen unterschreiben
via Fingerabdruck, dass sie an einem Projekt teilnehmen wollen. Das ist dann
verbindlich. «Wer mitmacht, ist auch konsequent dabei», sagt die Balsthalerin.

Derzeit werden im Rahmen des Projekts der Patenschaften für Mädchen nicht
weniger als 18 Dörfer mit mehr als 200 Patenschaften unterstützt. Zwar gilt auch
in Südindien die staatliche Schulpflicht für alle Kinder. Bloss: Für die Kinder auf
den Kalrayan-Hills befindet sich die staatliche Schule einige Kilometer entfernt
von ihren Dörfern. Neben den schlechten finanziellen Verhältnissen ein
Grund mehr aus Sicht der Eltern, ihre Kinder – speziell die Mädchen – nicht in
die Schule zu schicken. Mädchen zu fördern gilt in dieser Gegend, wo die Ärmsten
leben, oft Kastenlose, als absoluter Luxus. Mädchen, die oft den Tag der Geburt
nicht überleben, weil sie im «falschen » Geschlecht geboren wurden. Die
beiden Frauen blicken einander kurz an. Schweigen. In Indien ist dieses Thema
noch immer tabu.

Ihnen bleibt nur die Hilfe für diejenigen, die überhaupt die Chance erhalten, älter
zu werden. Ihnen will «Intact Schweiz» mittels solider Schulbildung und Betreuung
eine faire Chance bieten, sich von der Abhängigkeit der Familie zu lösen.
Die Kosten für eine qualitativ hochstehende Ausbildung von der ersten Klasse
an bis hin zur Berufsausbildung werden durch die Patenschaften von «Intact» getragen.
Sinnvoller kann man 190 Franken im Jahr kaum einsetzen. Mit diesem
Geld ermöglicht man den Kindern auch das Tragen einer Schuluniform – oft die
einzigen Kleider, die sie zum Tragen haben.
Kleider, die von der lokalen Näherin genäht werden. Auf diese Weise setzt
«Intact» also einen ökonomischen Kreislauf in Gang. Vor Ort, wo es Sinn macht.
Seinerzeit haben Elsbeth Scacchi und ihre Mitstreiterinnen mit einem einzigen
Mädchen angefangen, um der skeptischen Bevölkerung vor Ort zu zeigen,
wie die Hilfe der Fremden gemeint ist. Das klappte gut, und rasch verbreitete
sich die Mund-zu-Mund-Propaganda von Dorf zu Dorf.

Benefizveranstaltung im November Noch in diesem Jahr werden nun also die
Schulzimmer der 1. Bauphase eingeweiht. Der Baubeginn der 2. Etappe
steht bevor. In weiteren Etappen ist auch ein kleines medizinisches Anlaufzentrum
geplant, denn medizinische Hilfe fehlt in dieser Gegend fast gänzlich, im Notfall
ist der Weg bis ins nächste «Spital» oft viel zu lang. Unter anderem deshalb
nimmt Elsbeth Scacchi monatelangen unbezahlten Urlaub. Um diese «wichtige,
schwierige Phase» vor Ort begleiten zu können. «Wenn dieses Haus einmal
steht», weiss sie, «dann ist dies ein gewaltiges Ereignis für sämtliche Dörfer auf
dieser Hochebene».

Gelder für ihre Aktivitäten erhält «Intact Schweiz» wie erwähnt mittels der Übernahme
von Patenschaften, via Sponsoren und Geldern und punktuell, wie mit
dem Benefizanlass am 2. November im Bienkensaal Oensingen. Moderiert wird
er von SF-Wetterfee Sandra Boner, live zu bewundern sein wird Ueli Schmezer
mit seiner Band «Matterlive». Er wird also all die Lieder des unvergesslichen Mani
Matter zum Besten geben. Verantwortlich für den Anlass ist Cornelia Misteli.
«Wir sind ständig dran», sagt sie. Am Geld Beschaffen, am Sensibilisieren
möglicher Paten und Spender. Sie seien privilegiert, denn ihre Tätigkeit sei nicht
«nur» karitativ, sondern auch enorm spannend, sagt sie. «Sie berührt und lässt
einen nicht kalt». Elsbeth Scacchi nickt.

Infos: www.intactschweiz.ch

PS: Originalartikel unter: http://www.gaeuanzeiger.ch/archiv/20080821/pdf/seite7.pdf